Annie Ernaux

Die renommierte Autorin hatte zum Favoritenkreis gehört. Scham über erlebte Gewalt prägte ihr Leben, sie machte daraus große Literatur.

Den letzten Skandal verursachte 2019 die Vergabe an den Österreicher [Peter Handke, dessen politische Haltung zu Serbien für viel Kritik sorgte.](https://www.diepresse.com/6038429/peter-handke-ich-sehe-an-mir-keine-schuld) Im Jahr zuvor [überraschte die Entscheidung für die Lyrikerin Louise Glück](https://www.diepresse.com/5879419/louise-glueck-gelehrte-poetin-der-melancholie) die literarische Welt (zumindest außerhalb der USA war sie unbekannt). Seit den 1970er-Jahren veröffentlichte sie autobiografisch geprägte, formal avancierte Werke wie „La Place“ „La Honte“ und „Les Années“ („Die Jahre“). In einem Interview mit der „Presse“ sprach sie über sexuelle und noch ärgere Tabus, soziale Schande und das Einzige, was ihr an Macron gefällt Als Kind erlebte sie 1952 mit, wie der Vater versuchte, die Mutter zu töten. Scham über erlebte Gewalt prägte ihr Leben.

Der Literaturnobelpreis geht dieses Jahr an eine Favoritin. Die französische Autorin Annie Ernaux wird für ihr ambitioniertes autofiktionales Projekt ...

Pandemiebedingt wird der Preis neuerlich in den Heimatländern der Preisträgerinnen und Preisträger und nicht bei einer Zeremonie in Stockholm übergeben. „Erinnerungen eines Mädchens“ („Memoire de fille“, 2016) spürte mit Genauigkeit ihrer ersten sexuellen Begegnung nach – und erzählte von Macht, Ohnmacht und Unterwerfung. Darin seziert sie ausgehend von der Erinnerung an den Tod ihres Vaters ihre kleinbürgerliche Herkunft, vermisst rückwirkend den sozialen „Platz“, der ihr durch die Geburt zugeteilt wurde, und welche Möglichkeiten ihr dadurch offenstanden oder eben verschlossen blieben. Der Preis für 2018 wurde erst 2019 verliehen und Olga Tokarczuk zugesprochen. Der mit der soziologische Beschreibung seiner Kindheit, „Rückkehr nach Reims“, auch im deutschen Sprachraum berühmt gewordene Didier Eribon bezieht sich häufig auf Ernaux als Inspiration. Die Wahl gab die für die renommierte Auszeichnung zuständige Schwedische Akademie am Donnerstag in der Altstadt von Stockholm bekannt.