Gustav von Aschenbach (Rainer Trost, r.) ist unfähig, mit Tadzio (Victor Cagnin) einen anderen Kontakt aufzunehmen als den eines stummen begehrenden ...
Am berührendsten ist das orchestrale Nachspiel: In die mahler-nahe Trauermusik auf Aschenbach mischt das Vibraphon Tadzios Girlanden. Auf einem letzten Ton verschmilzt beides. Überall Signale: Tadzio, ein Tänzer, wird von den Klängen eines stilisierten balinesischen Gamelan mit prominentem Vibraphon, dem längsten Solo-Vibraphonpart der Operngeschichte, begleitet - ist das nur eine Reminszenz an Brittens Fernostreise? Oder geht es um kindliche Schönheit und verbotenes Begehren? Dass Britten pädophile Neigungen hatte, weiß man, seit es Humphrey Carpenter in seiner umfangreichen Britten-Biografie 1992 aufgedeckt hat. Britten war in vielen Liederabenden der Klavierbegleiter von Pears. Signalisiert er hier ein letztes Zusammensein, während Pears ohne Britten, also orchesterbegleitet, zur jämmerlichen Gestalt verkommt? "Man hört Venedig stinken", meinte ein Kommentator nach der Uraufführung. Die Handlung von Brittens Oper: Ein gespenstischer Reisender setzt dem unter einer Schreibblockade leidenden Aschenbach den Floh ins Ohr, er könne in Venedig neue Inspiration finden. Brittens "Death in Venice" ist voller autobiografischer Anspielungen und homoerotischer Signale. Wie Britten damit umgeht, verleiht diesem Werk etwas Dunkles, teilweise sogar Unangenehmes. Es entsteht ein Streit, Tadzio wird niedergerungen und gedemütigt. Aschenbach will ihm zu Hilfe eilen, sinkt aber, an Cholera erkrankt, sterbend zurück. Britten zögerte sie viel zu lange hinaus - er fürchtete, er könnte dabei sterben, ohne dieses letzte Werk fertiggestellt zu haben. Als fahrende Sänger mit einem anzüglichen Lied auftreten, bezieht er dessen Inhalt auf sich und fühlt sich verspottet. Mai, in der Wiener Volksoper Premiere - dankenswerter Weise in deutscher Sprache, denn selten ist es so wichtig, die Nuancen der Worte in Bezug zur Musik ungefiltert durch Übertitel zu verstehen. Myfanwy Piper hatte aus Jacques Offenbachs Oper "Hoffmanns Erzählungen" eine brillante Idee übernommen: Sie stellt der Hauptgestalt einen Widersacher gegenüber, der in zahlreichen Verwandlungen auftritt. Aschenbach schweigt gegenüber Tadzio, gesteht sich aber erstmals selbst seine Gefühle ein: "Ich liebe dich."
Die Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot bietet lupenreines Glück mit Benjamin Brittens „Midsummer Night's Dream“.
Jede Sphäre bleibt für sich: Monika Buczkowska und Danylo Matviienko, Tamara Gura und Michael Porter sind Helena und Demetrius, Hermia und Lysander, die sich alle im Wald verlieren und wiederfinden oder überhaupt finden müssen. Der (irrtümliche) Spaß der Elfen ist bloß ein Katalysator wie der Zaubertrank im „Tristan“, und Britten, das ist enorm, hebt die Herumirrenden im Wald musikalisch bisweilen auf ein Wagner-Emotionsniveau. Gura, wenn sie alleine erwacht und ihren Lysander sucht, ist eine Sieglinde, deren Siegmund verschwunden ist, und so singt sie auch. Nicht dass es im Bockenheimer Depot eine vierte Wand gäbe. Zu sehen ist auch nicht das Shakespeare-Original, sondern die Oper Frankfurt mit Benjamin Brittens „Midsummer Night’s Dream“ auf den komprimierten Text von ihm und Peter Pears. Fabelhaft, wie man Ballast abwerfen kann (die mühselige Entwicklung am Anfang zum Beispiel), ohne Substanz zu verlieren. Die Menschen hingegen stehen auf dem finsteren Boden der Tatsachen und des spannend ausgeleuchteten (Jan Hartmann), aber nackten Depots: Junge Leute halt, aber das ist auch nicht wenig. Denn unter der Regie von Brigitte Fassbaender bleibt es nicht beim neckischen Ausstattungstheater, das ist lediglich die Grundlage für das pulsierende zwischenmenschliche Miteinander, das Einander-Umkreisen, das Neugierig-Sein und, ja, auch die Angst voreinander. Auch wenn die Elemente bei Bewegungen mehr knirschen, als es der Illusion bekommt (was seinen Reiz und seine Bodenständigkeit hat), ist das eine überzeugende Fantasterei. Ferne Welten, kein europäischer Märchenwald. Das Glück, sieh an, ist nicht banal, es ist zum Weinen schön. Es könnte gewaltig tragisch enden, und die vier haben die Stimmen, um das zu beglaubigen. Keine Knallchargen, sondern Menschen bei Fassbaender auch die Handwerker. Menschen, die etwas können, aber schauspielern können sie nicht. Gleichwohl ist der „Sommernachtstraum“ eine Komödie des Sich-gegenseitig-Beobachtens. Mindestens so wichtig wie das, was geschieht, ist die Reaktion des jeweiligen Publikums. Im Bockenheimer Depot imitiert er die großen Gesten seines Chefs Oberon und auch die der Menschen, die sich hierher verirrt haben. Puck probiert Gefühle an wie Jacken. Keiner kümmert sich um ihn, nur die kleineren Elfen kann er scheuchen, sonst muss er sich selbst ducken oder treibt seinen nicht immer freundlichen Schabernack ungesehen. Oder weint vielleicht doch einer – oder eine – über das traurige Schicksal von Pyramos und Thisbe?
Altmeisterin Brigitte Fassbaender inszeniert Benjamins Brittens Oper „A Midsummer Night's Dream“ ideenreich und atmosphärisch dicht im Bockenheimer Depot.