Berlin (MH) – Kurzweilig mit emotionalem Abschluss: Die Komische Oper Berlin hat am Samstag Giuseppe Verdis "Falstaff" präsentiert.
Der aus der Ukraine stammende Tenor Oleksiy Palchykov, der im "Falstaff" den Fenton verkörpert hatte, dankte für die Spenden und betonte, dass sein Land gerade die Freiheit von ganz Europa verteidige. Im Rahmen der Premiere rief die Komische Oper zu Spenden für ukrainische Flüchtlinge in Berlin auf. Kultursenator Klaus Lederer (Linke) übergab die Auszeichnungen. Intendant Kosky verwies auf die schwere Corona-Zeit und dankte Lederer für dessen kommunikative und konstruktive Zusammenarbeit mit den Kulturstätten.
Kurz vor seinem Abschied als Intendant der Komischen Oper Berlin inszenierte Barrie Kosky das letzte Werk des italienischen Meisters.
So blieb das Beste, was sich über diese Deutung sagen lässt, neben der hoch motivierten Besetzung das ungewöhnliche Charakterporträt des Falstaff als Mann ohne Eigenschaften. Animalische Triebe schienen ihm völlig fremd, weshalb seine Hörner auch aus Baguette-Broten bestanden, an denen er am Schluss zufrieden herumkaute. Nur sonderlich komisch komponierte Verdi nicht - aber in welcher Oper gibt es diesbezüglich schon echte Brüller? Schostakowitsch käme in Frage, aber das ist ein anderes Thema. Ob er damit sympathisch rüberkommt oder eher asozial, das ist jeweils dem Regisseur überlassen. Barrie Kosky, der scheidende Intendant der Komischen Oper Berlin, findet den Mann augenscheinlich ganz okay, jedenfalls sagte er im Programmheft, es sei gar nicht möglich, den Falstaff zu spielen, ohne ihn auch zu lieben. Die mäßigen Genießer gehören ja auf jeden Fall nach München, die unmäßigen wohl eher nach Berlin, insofern ist es also völlig in Ordnung, dass Verdis "Falstaff" mal wieder an der Spree Station macht. Der drastische Gegensatz zwischen anarchischem Genießer und verklemmten Zuschauern, er wird nicht bebildert. Sie triezen Falstaff ausgesprochen betulich, da kommen ein Nudelholz zum Einsatz und jede Menge Torten als Inbegriff der Köstlichkeiten - fader und altbackener geht es kaum.
Guiseppe Verdis Oper „Falstaff“ in der Komischen Oper trägt unverkennbar den Stempel Barry Koskys. Peter Uehling, 1.5.2022 - 09:26 Uhr. Artikel anhören.
Dass das fabelhafte Orchester der Komischen Oper unter dieser Leitung oft zu laut und hart spielt, ist das eine. Schaut man in den Graben hinein, gestikuliert Rubiķis wild in alle Richtungen, statt der Sache mal Luft und die Musik entstehen zu lassen. Gegen Scott Hendricks Falstaff kann sich nur Günter Papendell als Ford behaupten; natürlich ist er ein komischer Charakter, aber Kosky und Papendell verspotten ihn eher milde. Es ist zweifellos eine hervorragende Inszenierung. Aber in manchen Momenten knallt der Kosky-Stempel so unverkennbar auf das Werk, dass doch eine gewisse Unstimmigkeit entsteht zwischen der „Objektivität“ des Werks und den typischen Kosky-Handgriffen. Verdi hatte sich vom „Falstaff“-Stoff in der genialen Bearbeitung seines Librettisten Arrigo Boito weit von seinen Klischees forttragen lassen. Wir sehen Falstaff am Anfang kochend in einer von Katrin Lea Tag entworfenen, eher tristen, mit Anna-Viebrock-Anmutung tapezierten Taverne. Er ist ein Genießer prolligen Typs, vor allem als er uns endlich seine Rückseite und den – auch Kosky-typischen – nackten Arsch zeigt. Zauberhaft etwa, wie sich das junge Paar Nanetta und Fenton – gesungen von Alma Sadé und Oleksiy Palchykov – immer wieder aus den Zusammenhängen löst und miteinander fummelt.
Barrie Kosky bringt einen virtuose „Falstaff“ an die Komische Oper. Für den scheidenden Intendanten wird seine letzte Inszenierung am Haus zum Triumph.
Was Günter Papendell als Ford, Ruzan Mantashyan als Alice, Karolina Gumos als Meg und Ivan Tursic als Dr. Cajus im Gegenzug die Gelegenheit gibt, alle Schönheiten der Partitur auszukosten: Dieses grandiose Motiv-Mosaik eines lebensweisen 79-Jährigen, das so raffiniert changiert zwischen dem Spaß am meisterhaft beherrschten Handwerk und melodischer Melancholie, inklusive Rossini-Reverenz und angedeuteter Selbstzitate. Dem scheidenden Generalmusikdirektor Ainars Rubikis gelingt dieses Kunststück nicht durchgängig. Oft wird es knallig im Orchestergraben, fetzt die Musik mehr, als dass sie funkelt. Doch eigentlich – diese Erkenntnis setzt sich im Laufe des Abends durch – müsste er aussehen wie der Intendant höchstselbst. Als Genussmenschen, der Essen und Wein ebenso ehrlich liebt wie die Frauen – und der darum ebenso weit vom geilen Grabscher entfernt ist wie vom versoffenen Fettsack. Bei seinem amourösen Abenteuer lässt Ausstatterin Katrin Lea Tag Falstaff eine weiße Wuschellockenperücke à la Simon Rattle tragen und dazu einen schrillbunten Anzug, der aussieht, als habe ihn die für ihren extravaganten Modegeschmack berüchtigte Mezzosopranistin und Dirigentengattin Magdalena Kozena ausgesucht. Dass der amerikanische Bariton außerdem keine Angst davor hat, diese vokale Tour de Force lediglich mit einer Küchenschürze bekleidet zu performen, macht ihn zu einem idealen Kosky-Verbündeten. Dessen Zuneigung gehört schon immer den von allen gesellschaftlichen Fesseln freien Charakteren. Um ihnen auf der Bühne Glaubwürdigkeit verleihen zu können, aber braucht er Darsteller, die zur Enthemmung bereit sind. Er bleibt der Komischen Oper als Berater verbunden und wird weiterhin zwei Produktionen pro Jahr inszenieren. Und das hat Kosky in Berlin konsequent aufgebaut.
Barrie Kosky zeigt Verdis „Falstaff“ als überdrehte Komödie an der Komischen Oper. Es fallen aber auch ernste Töne.
Er hat die besten Jahre hinter sich, ist ein Saufkumpan und irgendwie auch ein Lebenskünstler, der beiläufig an eine Mischung aus Andreas Gabalier und Thomas Gottschalk erinnert. Kosky setzt auf Situationskomik und Dauerbeschleunigung. Der Regisseur kann mit Ruzan Mantashyan als anmutige Alice Ford, Alma Sadé als quirlige Nannetta oder Agnes Zwierko als vollmundige Mrs. Quickly auf eine überzeugende Sängerschar zurückgreifen. Dazu gehört auch der Chor des Hauses. Verdis Parlando, der schnelle Sprechgesang, macht es im Stück niemandem leicht. Falstaff ist bei Kosky ein Genussmensch, der zu Beginn mit Schürze und nacktem Po köstliche Speisen zubereitet. Vielleicht fühlte sich der ein oder andere im Publikum an Johannes Mario Simmels Roman „Es muss nicht immer Kaviar sein“ erinnert, in dem sich der durch den Kalten Krieg getriebene Bankier und Spion Thomas Lieven am liebsten den Frauen und dem Kochen zuwendet. Es ist eine sinnliche Verführung im Dunklen. Dabei handelt es sich nicht um Shakespeare, sondern um Kalbsfond und Esslöffel mit Irgendwas. Das Publikum lacht zwischendurch herzhaft. Scott Hendricks ist der am Ende bejubelte Falstaff. Er ist alles andere als ein altgewordener Ritter, der im modernen Zeitalter keinen mehr Platz findet. Nach dem Kultursenator tritt der ukrainische Tenor Oleksiy Palchykov, der in der Inszenierung als jugendlicher Fenton mit Nannetta bis zum Happy-End herumturtelt, an die Rampe und hält eine kleine, aber sehr ernste Rede. Anschließend singt er mit seinem lyrischen Tenor-Atem ein ukrainisches Lied a cappella. Leckere Rezepte gehören auch zum dystopischen Roman „Manaraga. Tagebuch eines Meisterkochs“ von Vladimir Sorokin. Demnach werden Bücher in der Zukunft nicht mehr gelesen, sondern dienen als Brennmaterial für die Zubereitung exklusiver Speisen. Nur die ganz Reichen können sich das leisten. Sir John Falstaff trägt zwischendurch einen clownesken Anzug, der das selbe Muster wie die Tapete hat. Jubel über Jubel. Als am Ende der „Falstaff“-Premiere, seiner vorletzten Premiere als Intendant der Komischen Oper, Barrie Kosky auf die Bühne kommt, taucht flüchtig der Gedanke auf, wie viel von ihm in dem närrische Falstaff der Inszenierung steckt? In seinem „Falstaff“ lässt Kosky zwischen den Akten und Bildern minutenlang Rezepte auf Italienisch einsprechen. In Barrie Koskys Inszenierung von Giuseppe Verdis Alterswerk „Verdi“ gehört auch nicht alles zum Stück. Eine im wahrsten Sinne des Wortes köstliche Regieidee lässt sich weder bei Shakespeare noch dem Librettisten Boito nachschlagen.